Interview mit einer Sexualassistentin

21.05.2024 | Blog > Arbeit >

 

Mira arbeitet als Sexualassistentin und gibt uns im Interview spannende Einblicke in ihren Beruf.

Was hat dich dazu motiviert, der Arbeit als Sexualassistentin nachzugehen?
Ich fand den therapeutischen Bereich schon immer interessant. Gleichzeitig wollte ich etwas Verrücktes, Gesellschaftsrelevantes machen, was die aktuellen Konventionen herausfordert. Über einen TV-Beitrag wurde ich auf die Arbeit von Sexualassistentinnen, Berührerinnen und Sexualbegleitungen aufmerksam, was alles die gleiche Berufsgruppe bezeichnet. Ich bevorzuge den Ausdruck Sexualassistentin. Bei meinen Recherchen stiess ich auf InSeBe (Anm.: Initiative SexualBegleitung), und entschied mich, die Ausbildung zur Sexualbegleitung zu machen.

Wer nimmt dein Angebot in Anspruch?
Mein Angebot richtet sich nur an Menschen mit Beeinträchtigungen und betagte Menschen. Ich selber treffe ausschliesslich Männer. Die meisten meiner Berufskolleginnen bedienen aber beide Geschlechter.

Kannst du uns etwas über die Bedeutung von Sexualbegleitung für deine Klienten berichten?
Es löst auf alle Fälle etwas aus – mit grosser Mehrheit positiv. So gibt es beispielsweise Menschen, die nach einem Treffen neue Hemden kaufen oder mehr auf die Hygiene achten. Sie spüren das Leben wieder. Auch reduzieren sich nach den Treffen die Übergriffe auf das Pflegepersonal, da klar aufgezeigt werden kann, wen man berühren darf und wen nicht. Bei vielen Klienten löst das Gefühl, eine «Freundin» zu haben, viele positive Emotionen aus. Dies wird auch dadurch nicht getrübt, dass ich klar kommuniziere, dass ich für eine Liebesbeziehung nicht zur Verfügung stehe. Das Gefühl von Schmetterlingen und sich im Alltag auf etwas zu freuen, wirkt auf die grosse Mehrheit meiner Klienten sehr stimulierend.

Wie nimmt man Kontakt zu einer Sexualassistentin auf und wie stelle ich sicher, dass es sich um ein seriöses Angebot handelt?
Auf der InSeBe-Webseite hat es ein Leitbild, wo man sich über die ethischen Werte informieren kann. Es sind zertifizierte Sexualassistentinnen aufgelistet. Man kann dann per Mail Kontakt aufnehmen. Hier können sich auch Institutionen und Angehörige von betroffenen Personen melden.

Wie gestaltet sich der Beziehungsaufbau nach einer Kontaktaufnahme?
Zuerst treffe ich meine Klienten immer auf ein Vorgespräch. Dabei lernt man sich kennen und spricht über die Erwartungshaltungen. Danach können beide Seiten entscheiden, ob man die Beziehung vertiefen will.

Kommt es bei späteren Treffen immer zum Sex?
Was bedeutet Sex für dich (*lacht*)? Es gibt viele Formen von Sexualität. Die Freude der Körperlichkeit soll wieder im Fokus stehen. Über Berührungen, Kuscheln und Liebkosungen. Zu penetrativem Sex kommt es höchst selten. Viele Berufskolleginnen bieten den auch gar nicht an. Wenn es zu einem Orgasmus kommt, dann meist über die Stimulation mit der Hand. Bei älteren Männern mit oftmals vorhandenen Erektionsstörungen versuche ich meist erfolgreich zu vermitteln, wie schön und erfüllend der reine Haut-zu-Haut-Kontakt ist. Bei Menschen mit Autismus erfolgen Berührungen oft angekleidet, da die Reize für sie ansonsten zu gross und zu eindrücklich wären. Das gemeinsame Reden und Anteilnehmen ist ein grosser Punkt meiner Arbeit. Es geht um eine Beziehung. Ich bin keine medizinische Fachperson, darum ist der Umgang mit mir lockerer. Wir trinken auch mal ein Bier zusammen, es ist eine andere Art der Kommunikation. Neben dem Körperlichen geht es auch um die Seele der Menschen, die Liebe braucht.

Welche Herausforderungen begegnen dir häufig bei deiner Arbeit im Bereich der Sexualität?
Die Erwartungshaltung der Männer ist oftmals von Pornografie geprägt. Die ältere Generation hatte zudem einen ganz anderen, sehr blockierten Umgang mit Sexualität. Darüber wurde auch in der Ehe nicht geredet, was oft für beide Seiten nicht erfüllend war. Da muss ich dann Aufklärungsarbeit leisten und erklären, dass für eine gute Sexualität die Bedürfnisse der Frauen nicht übergangen werden dürfen. Ich will die Klienten ja auch auf eine mögliche neue Beziehung vorbereiten, so dass diese erfolgreich ausgelebt werden kann. Die zweite Herausforderung ist es, die Grenzen des Gegenübers zu spüren. Anfangs hatte ich Angst, die Grenzen bei kognitiv beeinträchtigten Menschen allenfalls zu übersehen. Mittlerweile habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass diese viel authentischer auf Situationen reagieren, die ihnen unangenehm sind. Ich spüre anhand ihrer körperlichen Reaktion, ob sie etwas wollen oder nicht.

Welche Rolle spielt der Einbezug von Familienangehörigen und Betreuenden?
Einen sehr wichtigen. Meistens werde ich kontaktiert, wenn Menschen in Institutionen einen starken Wunsch äussern oder sich übergriffig verhalten. Somit bin ich vor den Treffen auf Informationen und nach den Treffen auf Rückmeldungen angewiesen. Ich finde es sehr schön, dass ich in Institutionen mittlerweile als Therapeutin wahrgenommen werde und pflege wertvollen Kontakt zu diesen: Sie binden mich ein und finden es wichtig, dass ich regelmässig erscheine. Der Austausch wird gepflegt und man spielt mit offenen Karten.

Wie reagierst du auf Vorurteile, die möglicherweise von der Gesellschaft auf deine Arbeit gespiegelt werden?
Mein Umfeld reagierte durchwegs positiv, findet meine Tätigkeit gut und vor allem wichtig. Manche sind sehr interessiert, manche wollen lieber keine Details wissen. Viel höre ich aber von anderen Menschen, dass sie meine Tätigkeit niemals machen könnten. Es muss einem tatsächlich gegeben sein, diesen Beruf auszuüben.

Welche Ratschläge würden Sie Pflegefachkräften im Umgang mit Klienten und Sexualität geben?
Ansprechen, das Kind beim Namen nennen, nicht um den heissen Brei herumreden (*schmunzeln*). Wir bieten von InSeBe auch Teamevents an, wo wir einen Vortrag halten und Fragen beantworten. So kann man das Thema gut in einer Institution angehen.

Severin Kolb, Redaktionsleiter Austausch im Gespräch mit Mira, Sexualassistentin

 

 

Praktische Fragen rund um die Sexualbegleitung beantwortet von Erich Hassler von InSeBe.

Ich will Sexualbegleitung, wie nehme ich Kontakt auf?
Über die Webseiten www.sexualbegleitung.com oder www.insebe.ch

Was kostet eine Sexualbegleitung?
Bei InSeBe® kann man keinen sexuellen Akt kaufen. Bei InSeBe® kauft man «Zeit der Begegnung». Diese Zeit kostet durchschnittlich Fr. 150.00/Std plus Reisekosten von Fr. 30.00/Std inkl. Reisespesen. Das Erstgespräch kosten ca. Fr. 30.00 plus Reisekosten.

Wo findet die Sexualbegleitung statt?
Bei mir, oder muss ich an einen Ort? Das kann in der Einrichtung, privat oder in einem Hotel sein. Einige Sexualbegleiter:innen haben ein eigenes Atelier.

Kann ich wählen, ob ein Mann oder eine Frau die Sexualbegleitung macht?
Selbstverständlich.